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25.08.2021 denkmal

Vielseitiger Einsatz für das klingende Kulturgut: Die Musikerin Annette Herr im Portrait

So mannigfaltig wie die Klänge der Orgel ist das Engagement für Musik und Denkmalschutz von Annette Herr. Die leidenschaftliche Pädagogin unterrichtet Orgel sowie Violine und Klavier in Leipzig und konzertiert bundesweit, häufig an historischen Orgeln. Darüber hinaus ist sie die Leiterin des Leipziger Ortskuratoriums der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Vorsitzende des Verbandes evangelischer Kirchenmusiker*innen Sachsens sowie stellvertretende Vorsitzende des Vereins Kirchenfuge. Im Interview spricht sie über die Chancen und Herausforderungen für den Denkmalschutz im Allgemeinen und die Orgelvermittlung im Besonderen.

Aufgewachsen in einer musikalisch und christlich geprägten Familie, bekam Annette Herr als Jugendliche ihren ersten Orgelunterricht. Sie studierte Musikwissenschaft in Frankfurt am Main sowie Violine in Köln und Hannover. Während sie dann parallel in einer Musikschule und einer Kirchgemeinde arbeitete, absolvierte sie die Studiengänge Chor- und Ensembleleitung sowie Kirchenmusik.

Redaktion: Frau Herr, seit wann und in welcher Form setzen Sie sich aktiv für den Denkmalschutz ein? Gab es in Ihrem Leben eine Art „Initialzündung“ zu Ihrer Beschäftigung mit dem Thema?

Annette Herr: Als Kirchenmusikerin war ich zeitweilig für drei Denkmalorgeln zuständig und habe diesen Bildungsauftrag umgesetzt durch mein gottesdienstliches Orgelspiel, moderierte Konzerte sowie Orgelführungen für Erwachsene und Projekte für Kinder. Zuletzt habe ich die Barockorgel in Störmthal (erbaut 1723 von Zacharias Hildebrandt, einem Schüler Gottfried Silbermanns) in einer CD präsentiert, mit der ich sowohl ein Laien- als auch ein Fachpublikum anspreche. Denn neben Orgelmusik – mit umfassenden Erläuterungen im CD-Beiheft – wird in Bonustracks die besondere historische Stimmung der Orgel hörbar und verständlich. Die CD ist im Handel erhältlich und beim Leipziger Verein Kirchenfuge e. V. Seit 2020 bin ich Ortskuratorin der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Ich bringe hier den musikalischen Aspekt ein und erweitere mein Engagement für den Denkmalschutz über die historischen Orgeln hinaus.

Redaktion: Wie viele Mitglieder hat das Ortskuratorium und womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Funktion als Ortskuratorin der Deutschen Stiftung Denkmalschutz?

Annette Herr: Zu unserem Ortskuratorium gehören 16 Mitglieder aus Leipzig, Altenburg und Chemnitz. Ich freue mich sehr, dass sich die Mitglieder entweder konkret für ein Denkmal engagieren oder für ihre ganze Region. Und ich habe schnell feststellen können, dass alle Mitglieder großes Knowhow im Bereich der Restaurierung besitzen. Meine Aufgaben sind das Beraten und Repräsentieren sowie Pressearbeit und Veranstaltungen. Als Ansprechpartnerin vermittle ich die Fragen von interessierten BürgerInnen und BauherrInnen ggf. an eine kompetente Stelle weiter, beispielsweise bauliche Fragen und Fragen zu Förderanträgen.

Redaktion: 2017 wurden Orgelbau und Orgelmusik zum Unesco Weltkulturerbe erklärt und 2021 wurde die Orgel von den Landesmusikräten zum Instrument des Jahres ausgerufen. Was ist der Gedanke hinter dem Orgeljahr?

Annette Herr: Die Landesmusikräte und Landeskirchen sowie der Bund deutscher Orgelbauer bieten im Orgeljahr Plattformen für die Öffentlichkeitsarbeit – vor allem auch über die Kirchen hinaus – und stellen Fördermittel zur Verfügung. Mit Konzert- und Bildungsveranstaltungen wollen wir Begeisterung stiften sowohl für die technischen Erfindungen in der Orgelbau-Geschichte als auch für den Reichtum der Orgelmusik in Klassik, Jazz, Rock und Pop.

Redaktion: Wie beeinflusst das Orgeljahr Ihre Arbeit, inwiefern sind Sie in die verschiedenen Veranstaltungen involviert und wie lange liefen die Vorbereitungen?

Annette Herr: Die Vorbereitungen zum Orgeljahr sind schon 2019 angelaufen und wurden durch Corona leider zäh verlängert. Es fand in Videokonferenzen ein Vernetzen vieler KollegInnen statt, ein Zusammentragen möglicher Programme und Weiterentwickeln pädagogischen Materials. An zwei Leipziger Musikschulen biete ich die Orgel im ‚Karussell‘ an, wo Kinder reihum drei bis vier Instrumente in einzelnen Unterrichtseinheiten kennenlernen können. Darüber hinaus gebe ich Konzerte und Workshops für Schulen und Kirchgemeinden.

Redaktion: Sind Sie am kommenden Tag des offenen Denkmals am 12. September 2021 beteiligt?

Annette Herr: Ja, selbstverständlich. Ich bin für die Deutsche Stiftung Denkmalschutz bei der Eröffnungsveranstaltung der Stadt Leipzig dabei und bringe eine Orgel im Koffer mit, eine sogenannte Baukastenorgel, die dort gemeinsam aufgebaut und gespielt werden kann.

Redaktion: Im letzten Jahr konnte der Tag des offenen Denkmals leider nur digital stattfinden. Wie haben Sie diese Besonderheit erlebt – sowohl in der Vorbereitung als auch mit Blick auf die Resonanz?

Annette Herr: Ich danke der Bonner Geschäftsstelle der Deutschen Stiftung Denkmalschutz: Von dort bekamen wir viele hilfreiche Informationen, wie man „sein“ Denkmal digital vorstellen könnte und im Ortskuratorium haben wir über diese Möglichkeiten gesprochen. Viele haben in ihrer Verantwortung als BauherrInnen ihre Denkmale – mit verhaltener regionaler Resonanz – geöffnet.

Redaktion: In diesem Jahr haben Denkmale die Möglichkeit, sich live vor Ort, aber auch digital zu beteiligen. In welcher der beiden Formen beteiligen sich die Denkmale in diesem Jahr hauptsächlich?

Annette Herr: Wir wünschen uns, dass in diesem Jahr viele Menschen – auch überregional – teilnehmen. Alle Denkmale öffnen nun mit Hygienekonzept. Mit Fachkenntnis und Liebe werden Veranstaltungen zum Zuschauen, Zuhören und Mitmachen für Erwachsene und Kinder vorbereitet. Zusätzlich stehen digitale Präsentationen im Internet zur Verfügung und es werden neue hinzukommen. Wesentlich war der Anstoß im vorigen Jahr, digitale Formate auszuprobieren. Ich beobachte seitdem, dass Bedenken dagegen sich zerstreuen, je mehr man voneinander lernt oder indem man den technischen Part bei Profis in Auftrag gibt.

Redaktion: Kann die sogenannte Königin der Instrumente in der Zeit der gegenwärtigen Corona-Pandemie rettende Klänge bzw. Zuflucht bieten?

Annette Herr: Ja, Orgelmusik war und ist ein Hort für die Seele. Wir OrganistInnen haben Audios oder Videos erstellt. Und sobald auch nur wenige Personen die Kirchen betreten durften, haben sofort gut besuchte Live-Orgelmusiken stattgefunden.

Redaktion: Wo sehen Sie die aktuellen Chancen und Herausforderungen?

Annette Herr: Unsere Chance ist, dass die Orgel perfekt geeignet ist für „Musik auf Abstand“ auch bei hohen Inzidenzen. Da jede Orgel für ihren meist großen und hohen (Kirchen-) Raum intoniert ist, füllt sie ihn mit ihren Klängen optimal aus. Die Atmosphäre von Kirchenraum und Musik inspiriert uns sowohl beim Spielen als auch beim Zuhören. Als Herausforderung unserer Zeit gilt dieselbe Frage für die Orgelmusik wie für die Denkmalpflege: Wie machen wir die Menschen auf dieses Angebot aufmerksam und neugierig? Wie finden die Menschen unsere Veranstaltungen oder das passende Stichwort im Internet für unsere Inhalte?

Redaktion: Wie könnte es in Zukunft gelingen, dass die Orgel als Instrument und Kulturgut stärker in den Fokus rückt und mehr Menschen erreicht?

Annette Herr: Mein persönlicher und nachhaltiger Ansatz ist, dass alle Kinder und Jugendlichen die Orgel (mindestens) dreimal persönlich ausprobieren dürfen: im Kindergarten, in der Grundschule und in der weiterführenden Schule. An das Kennenlernen kann sich der Musikschul-Unterricht anschließen wie bei jedem Instrument, dafür gibt es Unterrichtskonzepte ab dem Kindergartenalter und Pedal-Erhöhungen. Erwachsene Zielgruppen gilt es ebenso zu erschließen, denn die Orgel ist über die ganze Welt verbreitet und anderswo mehr als bei uns ein Konzertsaal-Instrument. Mit und ohne die Auslegung geistlicher Texte fasziniert die Orgel mit ihrer schier unerschöpflichen Vielfalt an Formen, Stilen und Klangfarben – die Orgel hat die große Ausstrahlung einer „Königin“.

Foto Nerlich/Annette Herr
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